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Gähnen, Phänomen entschlüsselt?

Menschen, die gähnen langweilen sich, oder sind müde. So lauten die gängigen Vorurteile. Daher versuchen viele Arbeitnehmer, das Gähnen besonders im beruflichen Umfeld zu unterdrücken. Schließlich soll der Vorgesetzte nicht denken, man langweile sich bei der Arbeit.

Aber Vorsicht: wenn Sie das Gähnen unterdrücken, können Sie sogar ihrem Gehirn schaden – das jedenfalls legen Forschungsergebnisse nahe.

Gähnen: Was wir wissen und was nicht

Die Forschung ist sich weitgehend einig darüber, dass Gähnen ansteckend ist. Und damit hören die gesicherten Forschungsergebnisse auch schon auf. Denn warum es ansteckend ist, ist bis heute nicht geklärt.

Es scheint ein ganz grundlegender Drang dahinter verborgen zu sein, denn selbst wenn wir versuchen nicht zu gähnen, können wir es kaum unterdrücken.

Britische Forscher machten dazu eine kleine Untersuchung: Sie zeigten insgesamt 36 Teilnehmern einer Studie mehrere Videos gähnender Menschen. Der einen Gruppe erlaubten sie, mitzugähnen, der anderen nicht. Das Ergebnis: Die Teilnehmer beider Gruppen gähnten gleich häufig, aber auf unterschiedliche Weise: Die Einen versteckt, die Anderen offen.

Was zeigt uns das? Ganz einfach, dass wir kaum etwas gegen unseren Drang zu Gähnen tun können. Vielleicht hat das ja auch einen guten Grund.

Hat das Gähnen eine soziale Funktion?

Es gibt viele Erklärungsversuche und Antwortmöglichkeiten dafür, warum wir gähnen. Eine davon ist eine gruppendynamische und emotionale Antwort. Es scheint nämlich so zu sein, dass Gähnen nicht gleichermaßen ansteckend ist. Anscheinend gähnen wir eher mit den Menschen mit, die wir sympathisch finden, oder zu denen wir sogar eine emotionale Nähe haben. Von gähnenden Menschen, die uns nahe stehen, lassen wir uns schneller anstecken als von relativ unbekannten Menschen, oder solchen, die wir nicht ausstehen können. Gähnen ist sozusagen ein Empathie-Radar – und zwar auf zwei Arten. Wir gähnen eher mit Menschen, die wir mögen und die uns sympathisch sind. Daneben gähnen Menschen, die eher einfühlsam und empathisch sind, häufiger mit anderen mit.

Das scheinen Ergebnisse zu belegen, die man aus Untersuchungen autistischer Menschen und von Menschen mit einer schizophrenen Persönlichkeitsstörung kennt: Beide Gruppen haben ein eher vermindertes Einfühlungsvermögen und gähnen signifikant weniger, wenn eine andere Person gähnt.

Gähnen ist für viele Lebewesen ansteckend

Wenn unsere Familienmitglieder und Freunde gähnen, neigen wir also eher dazu, auch zu gähnen. Aber nicht nur wir Menschen. Die ansteckende Wirkung des Gähnens scheint sich auch auf Tiere zu übertragen.

Hunde beispielsweise gähnen ebenfalls mit, wenn Frauchen oder Herrchen gähnen und auch selbst dann, wenn sie nur in einer Gruppe von Menschen sind, in der viel gegähnt wird.

Welche Gründe gibt es für das Gähnen?

Gähnen scheint also ein altes und ursprüngliches biologisches Programm zu sein: Selbst Tiere tun es und Menschen können es kaum unterdrücken.

Stellt sich die Frage, was es mit diesem Programm auf sich hat.

Ein Grund dafür liegt vermutlich in der Gruppenstruktur begründet. Der Mensch ist ein Herdentier und als solches will und muss er sich der Zustimmung der anderen Gruppenmitglieder versichern.

Gähnt also ein Mitglied und schließt sich ein weiteres, oder gar mehrere Mitglieder an, wird die Stimmung in der Gruppe synchronisiert. Gähnen als eine Form des sozialen Nickens sozusagen.

Häufig wird in diesem Zusammenhang das Beispiel einer Gruppe von Frühmenschen angeführt, die um ein Lagerfeuer herumsitzen und der Reihe nach gähnen. Eine Erklärung hierfür war – wir sagen absichtlich war, da sich diese These nicht bestätigen ließ – dass mindestens ein Mitglied der Gruppe müde war und deshalb gähnte. Stimmten die anderen Gruppenmitglieder ins Gähnen ein, war das ein Zeichen dafür, dass auch sie müde waren. Die gesamte Gruppe konnte sich dann also geschlossen zur Ruhe legen.

Die noch heute weit verbreitete Annahme, dass Gähnen etwas mit Müdigkeit zu tun hat ist heute jedoch widerlegt.

Der Mensch gähnt in vielen Situationen

Menschen, die gähnen sind müde. Das glauben immer noch viele Zeitgenossen, aber es scheint deutliche Hinweise zu geben, dass das so nicht stimmt. Es gibt nämlich auch viele Sportler, die kurz vor einem wichtigen Event herzhaft gähnen und selbst Fallschirmspringer wurden schon gesichtet, die kurz vor dem Sprung gähnen mussten. Es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass diese Personen müde waren. Und selbst wenn sie es waren, hätte der Adrenalin-Ausstoß verhindert, dass sie es merken.

Auch der Erklärungsversuch, dass es gähnenden Menschen an Sauerstoff mangelt, ist schon längst widerlegt. Bereits im Jahr 1987 konnte Robert Provine, ein Psychologe aus den USA, zeigen, dass gähnen nichts mit einem Sauerstoffmangel zu tun hat.

Daher muss es noch andere Gründe geben, warum wir gähnen. Die Steigerung der Aufmerksamkeit ist ein weiterer Kandidat, um das Gähnen zu erklären. Abschließend bewiesen werden konnte jedoch auch das nicht. Aber dieser Ansatz erklärt, warum wir sowohl in eher langweiligen und monotonen, als auch in stressigen und angespannten Situationen gähnen.

Doch auch ein anderer Ansatz, der mittlerweile weit verbreitet ist, kann das erklären.

Gähnen als Klimaanlage

Seit dem Jahre 2010 wird darüber spekuliert, ob Gähnen das Gehirn kühlen könnte und ob darin vielleicht seine biologische Funktion liegt.

In diesem Jahr fanden amerikanische Psychologen heraus, dass die Temperatur im Gehirn von Ratten sinkt, wenn sie gähnen – zwar nur ein wenig, aber immerhin.

In weiteren Untersuchungen wurde daraufhin überprüft, ob das auch auf den Menschen zutrifft. Und tatsächlich: Der Evolutionsbiologe Dr. Andrew Gallup, der an der staatlichen Universität von Oneonta forscht und lehrt, konnte diesen Zusammenhang auch für den Menschen bestätigen.

Und so funktioniert der Effekt: Beim Gähnen öffnet sich der Kiefer. Dadurch kann vermehrt kalte Luft in die Atemwege gelangen. Diese kalte Luft kühlt damit auch die Blutgefäße und so auch das Blut, das in den Kopf strömt. Daneben wird aber auch das warme Blut aus dem Kopf abgeleitet und durch das kältere ersetzt.

Aber nicht nur das: Es scheint auch einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Verknüpfungen im Gehirn und der Länge des Gähnens zu geben. Und das ist durchaus interessant, denn Lebewesen, die viele Verknüpfungen zwischen den Nervenbahnen im Gehirn haben, gelten als intelligenter.

Wenn Sie nun also zu den Personen gehören, die lange und gerne gähnen, kann das doch nur bedeuten, dass Sie sehr einfühlsam und intelligent sind. Wer gähnt denn da nicht gerne?

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